Bis in den Tod gewartet ❗
Ich sitze in meinem Sprechzimmer. Vor mir ein Mann, Mitte 40, sonnengebräunt, kräftig gebaut. Auf den ersten Blick wirkt er wie das Bild eines gesunden Menschen. Doch seine Unterlagen erzählen eine andere Geschichte. Jahre des Ignorierens, Verdrängens und Bagatellisierens haben ihn hierhergebracht. Heute bin ich es, die ihm die schlimmste Nachricht seines Lebens überbringen muss.
„Herr Schmidt,“ beginne ich, „ich mache es kurz: Ihre Diabetes ist seit Jahren unkontrolliert. Ihre Nieren funktionieren kaum noch, Ihre Augen sind gefährdet. Wenn wir nicht sofort handeln, verlieren Sie mehr als nur Ihre Gesundheit – Sie könnten Ihr Leben verlieren.“
Er lacht. „Ach, Frau Doktor, Sie übertreiben doch. Ich hab mich immer fit gehalten. Das bisschen Zucker, das kriegen wir doch wieder in den Griff, oder?“
Ich lehne mich vor. „Herr Schmidt, hören Sie mir gut zu. Ihre Organe sind am Ende. Wenn wir nicht bald eine Dialyse starten, wird Ihr Körper versagen. Das ist kein Spiel. Sie stehen an der Schwelle zur Katastrophe.“
Sein Lächeln gefriert. „Dialyse? Wie… Wie meinen Sie das?“
Ich sehe ihm in die Augen. „Dreimal die Woche ans Gerät, für mehrere Stunden. Kein spontaner Urlaub, keine Flexibilität. Ihr Leben wird sich um Krankenhäuser und Behandlungen drehen. Und selbst dann garantiere ich Ihnen nichts. Es ist verdammt ernst.“
„Das kann nicht mein Leben sein!“
Es vergeht keine Woche, in der ich nicht ähnliche Gespräche führe. Da war Frau Berger, 52 Jahre alt, die nie zum Frauenarzt ging, weil sie sich „gesund fühlte“. Als ich ihr erklärte, dass der Tumor in ihrem Unterleib bereits Metastasen gebildet hat, brach sie in Tränen aus.
„Nein, das ist unmöglich! Ich hatte doch nichts! Wie konnte das passieren?“ schrie sie, ihre Hände vor das Gesicht geschlagen.
„Weil Sie nie hingeschaut haben, Frau Berger,“ sagte ich ruhig, aber bestimmt. „Krebs wartet nicht. Er wächst, während wir ihn ignorieren. Das ist die Wahrheit.“
„Aber ich fühle mich doch noch so fit!“ flehte sie, als könne sie die Diagnose mit ihren Worten zurückdrehen.
„Das ändert nichts daran, dass Sie jetzt kämpfen müssen. Es wird hart werden. Die Behandlungen sind brutal, Sie werden sich schwach fühlen, Haare verlieren, vielleicht auch Hoffnung. Aber wenn Sie es ernst nehmen, gibt es eine Chance.“
Sie weinte. Und ich? Ich fühlte mich wie ein Henker, obwohl ich nur die Realität ausgesprochen hatte.
Aggression und Ablehnung
Nicht alle Patienten nehmen diese Gespräche an. Einige brechen aus wie ein Vulkan. Ein Mann, Anfang 60, nach Jahrzehnten des Rauchens mit einem Lungenkarzinom diagnostiziert, sprang auf und schrie: „Das ist doch Schwachsinn! Sie wollen mir nur Angst machen, damit ich Ihre Pillen nehme!“
Ich blieb ruhig, obwohl mein Herz raste. „Herr Meyer, das ist keine Drohung, sondern die Realität. Ihre Lunge ist fast zerstört. Wenn Sie nicht sofort aufhören zu rauchen und eine Therapie beginnen, bleibt Ihnen vielleicht noch ein Jahr.“
Er holte aus, schmiss meine Papiere auf den Boden. „Lügen! Alles Lügen!“ rief er, bevor er aus dem Zimmer stürmte.
Ich blieb allein zurück, atmete tief durch und fragte mich, wie oft ich diese Art von Eskalation noch ertragen kann.
„Haben Sie eine Vorstellung davon, was auf Sie zukommt?“
Es gibt Momente, in denen ich nicht mehr diplomatisch sein kann. Bei einem Patienten, der jahrelang Alkohol konsumierte, bis seine Leber am Ende war, habe ich die Samthandschuhe ausgezogen.
„Herr Kunze, wenn Sie so weitermachen, werden Sie sterben. Nicht in Würde, sondern unter Schmerzen. Ihr Bauch wird sich mit Flüssigkeit füllen, Ihre Haut wird gelb, und irgendwann werden Sie nicht mehr atmen können. Verstehen Sie das?“
Er sah mich an, still, fast benommen. „Aber… kann man das nicht irgendwie umkehren?“ fragte er leise.
„Nein,“ sagte ich klar. „Wir können nur Zeit gewinnen. Aber Sie müssen kämpfen, und Sie müssen sich ändern. Jetzt.“
Ein Appell an die Selbstverantwortung
Ich bin Ärztin. Ich habe mich entschieden, Leben zu retten, nicht zuzusehen, wie Menschen sich selbst zerstören. Aber meine Arbeit wird immer schwieriger, weil viele erst handeln, wenn es fast zu spät ist.
Liebe Leser, hören Sie mir zu: Die Gesundheit ist kein Geschenk, das ewig hält. Sie ist ein zerbrechliches Gut, das Pflege und Verantwortung braucht. Warten Sie nicht, bis ein Arzt Ihnen in die Augen sehen muss, um zu sagen: „Es ist schlimmer, als Sie glauben.“ Denn dann könnte es zu spät sein.
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